Stefan Heiliger – das Porträt eines virtuosen Designers
Er gehört zu den Besten der deutschen Design-Elite. Und ist einer der Wenigen, die auch international einen ausgezeichneten Ruf genießen: Prof. Stefan Heiliger! Seine Entwürfe sind preisgekrönt, und wie kein zweiter zelebriert er die Kunst der Reduktion. „Weniger geht nicht!“ sagt er selbst über seine Philosophie. In Mailand ließ sich diese Maxime an vielen seiner emotionalen Entwürfe ablesen.
Doch so pur und authentisch waren seine Arbeiten nicht immer! Früher perfektionierte Stefan Heiliger meisterhaft die Bequemlichkeit von Polstermöbeln und Relaxsesseln, indem er ganz und gar auf Funktionen setzte. In seinem Frankfurter Atelier erzählt uns der Meister der sinnlich-organischen Formgebung, wie es zu der Wandlung kam und welchen Design-Herausforderungen er sich noch stellen will.
Frankfurt, Stadtteil Fechenheim, Alt Fechenheim 111. In einer schmalen Winkelgasse reckt sich vorwitzig eine Glasfassade in die Höhe, die sich angenehm von der Kleinstadt-Architektur der Nachbarhäuser absetzt. Wer genauer hinschaut, entdeckt dahinter die geschickt genutzte Baulücke. Durch ein spitzes Glasdach schafft sie einen lichtdurchfluteten Raum mit ganz viel Platz – für erstklassiges Design! Denn der Glaskubus beherbergt das Atelier von Prof. Stefan Heiliger. Hier dreht sich seit Jahren alles nur um ein einziges Thema: das Sitzen.
Wie abwechslungsreich die dafür nötigen Möbel aussehen können, beweist schon der Blick auf die Modellregale im Foyer. Sorgfältig aufgereiht erzählen die Miniaturmodelle ein Stück „Sitzgeschichte“. Da steht die kürzlich in Mai-land präsentierte Loungelandschaft „Morena“ von Leolux neben der Chaiselongue „Berlin“ von Bonaldo. Das WK-Imagemodell „Balance“ – eine Schaukelliege mit dem Zeug zum Klassiker – schmiegt sich dicht an die Relax-liege „3100“ von Nobelmarke Rolf Benz. Der puristische Sessel „Big Moon“ von Molinari hat es sich neben Relaxsessel „Solo“ von Designo bequem ge-macht. Alles was Rang und Namen in der Abteilung Sitzen, Relaxen und Liegen hat, gibt sich hier ein Stelldichein. Ein buntes Zeugnis für das vielseitige Repertoire und das Renommee des bekannten Designers Stefan Heiliger.
Berlin für Bonaldo
Klar, dass der Designer zu jedem Modell eine Geschichte erzählen kann. Zum Beispiel, wie viel Mühe es gekostet hat, dem italienischen Hersteller Bonaldo das Modell, das später „Berlin“ hieß, schmackhaft zu machen. „Ich muss bei jedem Entwurf immer auch die Fertigungstechniken berücksichtigen“, so Stefan Heiliger. „Formteile zu bauen, um eine Neuentwicklung auf den Markt zu bringen, ist für die Hersteller mit hohen Investitionen und großem Risiko verbunden“, weiß der Experte ganz genau. Denn zu seinem Atelier gehört auch eine Werkstatt, die bei Bedarf Prototypen der Modelle anfertigt. Das Team um Stefan Heiliger überlässt dabei nichts dem Zufall. Immer und immer wieder werden Schaumteile zugeschnitten, Gestellvarianten ausprobiert, Federstahlstäbe montiert, Verbindungen getestet und an jedem noch so kleinen Detail gefeilt.
Die kreativen Vorlagen für die Modellbauwerkstatt stammen dabei nicht – wie bei vielen jungen Kollegen heute ganz selbstverständlich – aus dem Rechner. Stefan Heiliger skizziert auf Papier, lässt seine schwungvollen Linien und re-volutionären Sitzideen zunächst mit dem Zeichenstift Gestalt annehmen. Das war vor allem in den 90ern, als die Funktionsmöbel ihre Hoch-Zeit hatten, eine kleine Herausforderung. „Dass ich mir damals den Titel des Funktionsmeisters verdienen konnte, liegt sicher auch an meiner Zeit bei Daimler-Benz“, erinnert sich der zweifache Familienvater. 14 Jahre lang hat er an Sportwagen und Coupe-Entwürfen für die Automarke mitgearbeitet. Viele seiner Ideen flitzen noch heute über den Asphalt.
Aber zurück zum Funktionsexperten und seiner perfekten, zeichnerischen Visualisierungs-Fähigkeit. „Wer in jener Zeit einen Sessel oder eine Liege mit ausgetüftelten Funktionen produzieren wollte, kam zu mir“, so Heiliger über Heiliger. Möglichst viele, nicht sichtbare Gelenke für alle möglichen und unmöglichen Sitzpositionen sollten in den Relaxern untergebracht werden. Erfolgreiche Modelle wie „Spot“ für WK und „Davis“ für Interprofil sind in dieser Ära entstanden. Allesamt Funktionssessel, ja fast Sitzmaschinen, die voller Finessen stecken und die Besitzer vor so manch knifflige Aufgabe stellen.
Neuanfang
Doch irgendwann hatte er die Nase voll von ausfahrbarer Perfektion und auf die Spitze getriebener Funktionalität. „Ich wollte etwas machen, was nur ich kann!“ Stefan Heiliger entdeckte für sich die Modularität der Fläche. Er faltete, knickte sie, zog sie in die Länge und ließ sie Kurven machen. So schlägt Heiliger ein völlig neues Kapitel seiner Designer-Karriere auf. Manche der Entwürfe erinnern in ihrer Grazilität an Origami, und gleich der japanischen Faltkunst sind die neuen Modelle, die Heiliger entwirft voller Zartgliedrigkeit.
„Einfachheit ist mein Ziel“, fasst der angesehene Designer seinen neuen Weg zusammen. Und betrachtet man den brandaktuellen Entwurf für Tonon, lässt sich erahnen, dass er am Ziel angekommen ist und sich noch einmal neu erfunden hat. Wie sich das auf einen eleganten Kreuzfuß aufgesetzte Polster-Band für „Twist“ leichtfüßig zur Sitzfläche biegt, um sich dann schwungvoll in die Höhe zu strecken und dem Rücken Halt und Komfort bietet, ist einfach verblüffend.
Viele der Heiliger-Neuheiten sind geprägt von einer zauberhaften Schwerelosigkeit, faszinierenden Leichtigkeit und sinnlicher Emotionalität. Trotzdem sind die Modelle immer hochkomfortabel! „Erst wenn ein Möbel so bequem ist, dass man es nicht steigern kann, bin ich zufrieden.“ Wie sich das schaffen lässt, ist für Heiliger kein Buch mit sieben Siegeln. Über 30 Jahre lang hat er seine Ansichten und Erfahrungen als Hochschulprofessor weitergegeben. „Die Studenten sind heute viel dichter an der Realität“, so der leidenschaftliche Professor. Ein Vorteil, der sicher auch der Marktnähe des Unterrichts zu verdanken ist. Viele Hersteller-Projekte hat Heiliger mit seinen Studenten realisiert. Einige gingen sogar in Serie.
Dass die Branche heute mit harten Bandagen kämpfen muss, weiß der erfahrene Designer nur zu gut. „Hersteller müssen auf Stückzahlen kommen, um wirtschaftlich zu sein. So sind sie zu Gefangenen ihres Markenzeichens geworden.“ Da ist jedes Mittel recht, um im harten Wettstreit um die Kunden zu bestehen. „Es hat sich auch ein richtiger Prominentenzirkus entwickelt“, sagt Stefan Heiliger, „aber das ist nicht meine Welt, das imponiert mir gar nicht“.
Spuren legen
Der überzeugte Minimalist schlägt lieber leise Töne an und kümmert sich um Ausstellungen in Museen und den Nachlass seines Vaters Bernhard Heiliger, eines bekannten und berühmten Bildhauers. „Auch ich möchte Spuren hinterlassen“, so der Designer. Und seit Professor Dr. Volker Fischer ihn 2006 für eine Retro-Perspektive im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst gewann, hält er den Kontakt zur Kunstszene. Einige seiner Stuhl-Klassiker wurden von Prof. Dr. Florian Hufnagl für die Pinakothek der Moderne in München erworben, andere hat Heiliger durch Schenkungen an Museen und Galerien einer großen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Und so auch vor dem Vergessen bewahrt. „Gerade meine neuen Arbeiten erzählen etwas über mich, transportieren meine Botschaft: Die Ergonomie der Skulptur“. Für Heiliger bedeutet das, beide Themen auf unvergleichliche Art und Weise zu verbinden. „Bei meinen aktuellen Entwürfen ist es mir wichtig, die Ergonomie in die Skulptur hinein zu bringen.“ Ein Formkonzept, das bei ihm bestimmt in besten Händen ist. Gehört doch folgender Leitsatz zu seinen Lieblingsaussagen: „Zukunft braucht Herkunft!“